In die seit Jahren feststeckenden Verhandlungen im EU-Rat zur sogenannten Chatkontrolle ist Bewegung gekommen. Die nationalen Botschafter haben laut einem Bericht von Politico (€) in der gestrigen Sitzung einem neuen Anlauf aus Dänemark zugestimmt. Wie MLex berichtet, habe mit Deutschland auch ein großes Kritikerland Zustimmung signalisiert. Damit ließe sich die Sperrminorität, die den Rat bisher gebremst hat, überwinden.
Seit Jahren ist der Gesetzentwurf der Europäischen Union zur Bekämpfung von Material über sexuellen Kindesmissbrauch (CSAM) umstritten; im EU-Rat gab es dazu seit drei Jahren keine Einigung. Knackpunkt bei den Verhandlungen ist immer wieder die verpflichtende, anlasslose Chatkontrolle, also die massenhafte Durchleuchtung privater und auch verschlüsselter Kommunikation.
Dänemark hatte, nachdem es keine Mehrheit für seinen Vorschlag erhalten hatte, einen neuen Kompromiss (PDF) vorgelegt. Demnach sollten die „Aufdeckungspflichten“ aus dem Gesetzentwurf entfallen, also Artikel 7 bis 11 – und damit auch die Anordnungen, die Dienste zur Chatkontrolle verpflichten könnten.
Es gibt allerdings widersprüchliche Signale über die mögliche, bevorstehende Einigung. Ein EU-Diplomat sagte am Mittwoch gegenüber netzpolitik.org, die EU-Ratspräsidentschaft sei zum Schluss gekommen, dass es genügend Unterstützung für den vorgeschlagenen Weg gebe, obwohl mehrere Mitgliedstaaten sich einen ehrgeizigeren Ansatz gewünscht hätten. Ein neuer Kompromissvorschlag würde nächste Woche in der Sitzung der Arbeitsgruppe diskutiert werden.
Ausreichende Mehrheit nicht sicher
Ein Sprecher des EU-Rates formulierte es deutlich verhaltener: „Der Vorsitz hat die nötige Unterstützung bekommen, um den neuen Vorschlag, der noch nicht vorliegt, auf technischer Ebene zu besprechen. Der heutige AStV hat sich nicht inhaltlich mit dem neuen Vorschlag auseinandergesetzt. Ob es eine ausreichende Mehrheit gibt, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt von daher nicht sagen.“
Auch ohne eine verpflichtende Chatkontrolle wäre die Überwachung vertraulicher Kommunikation nicht vom Tisch. Die „vorübergehende Ausnahme“ der Vertraulichkeit der Kommunikation – also die freiwillige Chatkontrolle – will Dänemark nämlich „dauerhaft machen“. Laut Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation dürfen Internetdienste die Inhalte ihrer Nutzer:innen eigentlich nicht „mithören, abhören, speichern oder auf andere Arten abfangen oder überwachen“.
Die freiwillige Chatkontrolle wurde allerdings 2021 vorübergehend erlaubt. Mit dem neuen Vorschlag soll sie dauerhaft erlaubt werden. Die Bundesdatenschutzbeauftragte kritisierte gegenüber der Bundesregierung jedoch auch das „freiwillige“ Scannen als rechtswidrig.
Nach Einigung im Rat käme der Trilog
Laut einer Notiz an Diplomaten, die netzpolitik.org veröffentlicht hat, sehen die dänischen Pläne eine Überprüfungsklausel vor, um verpflichtende Scans in Zukunft erneut zu erwägen. Demnach dürfte die verpflichtende Chatkontrolle immer wieder als Thema auftauchen und auf EU-Ebene diskutiert werden.
Einen neuen Vorschlag soll es erst in der kommenden Woche geben; Dänemark hatte bislang nur eine Zusammenfassung geliefert. Laut dem MLex-Bericht haben einige Länder gesagt, dass sie ihre Zustimmung vom endgültigen Text abhängig machen. Sollte der EU-Rat letztlich grünes Licht geben, dann geht die Verordnung in den sogenannten Trilog, also die finalen Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Rat.

Wegen Zeitplan: Falls der neue Text eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten findet, soll er in einem der nächsten Ministerräte durchgewunken werden, also noch vor dem Justiz- und Innenministerrat im Dezember. Die Trilogverhandlungen mit Parlament und Kommission werden aber absehbar erst im neuen Jahr beginnen. Der dänische EU-Botschafter sagte heute in einem anderen Trilog, dass die Zypriotische Ratspräsidentschaft ab Januar sich damit befassen wird.
Dank für die Informationen. Allerdings finde ich bei aller notwendigen Objektivität den Begriff „freiwillige Chatkontrolle“ irreführend. Denn ich entscheide mich sicher nicht freiwillig für eine Kontrolle aller EU-Bürger durch Staaten und Konzerne. „Freiwillig“ sollte man gegen „auf Wunsch der Tech-Giganten und Regierungen“ ersetzen.
Der Gedanke führt zwangsläufig zu der Frage, was die denn davon haben. Altruismus ist da wohl kaum zu erwarten. Ich denke, es geht vielmehr um die Daten, die dabei nicht zuletzt für die KI abfallen.
Eigentlich hatte ich hier noch geschrieben, was denn wirklich zu tun wäre, um Kinder vor Missbrauch zu schützen. Aber offensichtlich interessiert das wenigstens in der EU-Kommission und Rat niemanden…
„Eigentlich hatte ich hier noch geschrieben, was denn wirklich zu tun wäre, um Kinder vor Missbrauch zu schützen. Aber offensichtlich interessiert das wenigstens in der EU-Kommission und Rat niemanden…“
Die Kinder sind denen komplett egal. Es gab vor langer Zeit bereits genug Hinweise, dass die EU das Thema „Kinderschutz“ nur ausnutzt, um die Chatkontrolle dingfest zu machen.
Unter anderem hier
https://netzpolitik.org/2023/ueberwachung-politiker-fordern-ausweitung-der-chatkontrolle-auf-andere-inhalte/
Das ist jetzt 2 Jahre her.
Zudem
1. War da ja die ganzen Lobbyismus-Aktionen mit Thorn, die nur ihre Scanner-Software verkaufen wollen.
2. Haben Wissenschaftler aus der ganzen Welt mehrfach vor dem Vorhaben gewarnt. Juckt die Überwachungsfreaks überhaupt nicht.
3. Würde ständig darauf hingewiesen, dass es für echten Kinderschutz bessere Lösungen gibt.
Die wurden nicht mal für eine Nanosekunde in Betracht gezogen.
4. Werden immer neue Lügen erfunden, um das Ding durchzudrücken.
Erst die angeblich so hohen Zahlen (was ich immer noch nicht glaube, angesichts der Fehleranfälligkeit dieser Verfahren)
Jetzt dann die Lüge, dass es ja nur um Kinder und nicht um Chatkontrolle ginge (was durch die in diesem Kommentar erwähnten Tatsachen, den ständigen Beschwerden von Europol wegen Verschlüsselung und anderen Dingen klar widerlegt werden kann)
„Demnach dürfte die verpflichtende Chatkontrolle immer wieder als Thema auftauchen und auf EU-Ebene diskutiert werden.“
Und letztendlich auch auf EU-Ebene irgendwann durchkommen. Es wird am Ende wieder auf die Gerichte ankommen.
Quasi Vorratsdatenspeicherung 2.0.
Aber, selbst wenn auch nur jetzt die freiwillige Chatkontrolle dauerhaft wird, ist das Kind quasi schon in den Brunnen gefallen.
Denn letztendlich schafft das -meiner Meinung nach – den brandgefährlichen Präzedenzfall, dass mit dem Rezept aus
1. genügend Beharrlichkeit
2. künstlicher Dramatisierung
3. Ignorierung von Fakten und Warnungen
4. Verbreitung von Falschinformationen
5. Diffamierung von Kritikern
6. Abwarten bis die „richtigen“ Leute in Regierungen sind
alles irgendwann durchgesetzt werden kann.
Die verpflichtende Chatkontrolle ist dann angesichts der Tatsache, dass der Großteil der EU-Staaten dafür ist bzw auch schon immer dafür war, keine Frage des „ob“, sondern eine Frage des „wann“.
Das sind jedenfalls meine Befürchtungen.